Wild Spirits Coaching

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Das Problem mit der Entschleunigung

Langsamer werden, entschleunigen, bewusst leben - das sind Schlagwörter, die man überall hört und liest. Über sie herrscht kaum Uneinigkeit, fast alle halten es für eine gute Sache zu enschleunigen.

Wenn man sich ansieht, wie das Leben der meisten Menschen aussieht, wird einem jedoch schnell klar, dass die Idee des Entschleunigens genau das ist, eine Idee. Viele haben keine Ahnung, wie sie Stress abbauen, und manche behaupten stur-heil, dass es unmöglich sei, weil sie viel zu viel zu tun hätten.

Ich habe mit dem Thema viel Erfahrung, weil ich nicht nur mein eigenes Leben entschleunigt habe, sondern auch meinen Klientinnen dabei helfe. Erwarte aber bitte nicht noch einen Artikel, der erklärt, wie man bewusster lebt, denn das ist nicht der Hauptfokus hier (kontaktiere mich durch die Programmseite, dann sprechen wir darüber).

Fokussieren möchte ich mich auf das, was passiert, nachdem du entschleunigt hast. Das hat nämlich unerwartete Folgen, auf die du dich vorbereiten solltest, und nicht alle sind angenehm.

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Hier kommt der Widerstand

Ich habe schon oft darüber gesprochen, dass unsere Welt nicht darauf ausgerichtet ist, Menschen in einem langsameren Rhythmus leben zu lassen. Also kann es sich anfühlen, als ob du gegen den Strom schwimmst, wenn du das versuchst und gleichzeitig noch einen Job in der realen Welt hast und von Leuten umgeben bist, die ebenfalls im ständigen Druck unserer Welt gefangen sind.

Damit kann man aber umgehen. Ich sehe es an meinen Coaching-Klientinnen, und es funktioniert immer. Es erfordert eine gewisse Gleichgültigkeit gegenüber der Meinung anderer und den Willen, Grenzen setzen zu lernen und Nein zu sagen.

Schwieriger ist der eigene innere Widerstand. Wenn man unter Stress steht, lacht man bei dem Gedanken, dass man gegen einen langsameren Lebensrhythmus Widerstände haben könnte. Man sehnt sich nach einem Urlaub in einem Landhäuschen, Spaziergängen im Wald und einer Tasse Kaffee oder Tee am Fenster.

Aber wie viele tun das tatsächlich? Wie viele widerstehen dem Drang, “etwas zu erledigen”, wenn sie Urlaub haben? Die meisten fangen damit an, das Haus zu putzen, und gehen dann ein Projekt nach dem nächsten an. Reisen werden mit Sehenswürdigkeiten und Kultur verbracht.

Ich sage ja nicht, dass etwas daran schlecht ist. Nur sind das alles keine “langsamen” Tätigkeiten, und es scheint, dass viele Menschen aktiv dem entschleunigten Leben ausweichen, das sie sich so heiß wünschen.

Wie sieht das aus?

Der Widerstand zeigt sich auf verschiedene Weise. Ein paar Beispiele:

  • Du willst wirklich entschleunigen, aber du kommst irgendwie nie dazu. Es heißt ständig: “nach den nächsten paar Wochen/den Feiertagen/der stressigen Zeit bei der Arbeit/etc.”, ad infinitum.

  • Sobald du eine Verpflichtung oder Tätigkeit aufgegeben hast, drückt dir jemand etwas anderes aufs Auge oder bittet um einen Gefallen, der dich in absehbarer Zukunft beschäftigen wird.

  • Wenn du endlich frei hast, wirst du krank und verbringst den Urlaub damit, wieder auf den Damm zu kommen.

  • Du gibst Tätigkeiten auf, aber dein Terminkalender ist gefühlt noch genauso voll. Du bist nach wie vor gestresst und zu müde, um in deiner freien Zeit etwas Sinnvolles zu tun.

Wenn sich etwas davon bekannt anhört, lass uns reden. Das ist ein bekanntes Phänomen, und du kannst das mit etwas Unterstützung überwinden.

Wenn es dir mit der Entschleunigung ernst ist, musst du an dir arbeiten. Stress lässt sich nicht so einfach abschütteln; das Leben, das du bislang geführt hast, hat sowohl körperlich als auch psychisch Spuren hinterlassen, und diese Wunden musst du heilen, um voranzukommen.

Getan! Warum bist du jetzt deprimiert?

Als ich vor vier Jahren diese Veränderungen und Herausforderungen durchlebte, lernte ich viel über mich. Es war nicht immer einfach, aber um ehrlich zu sein: Es hat sich sehr gelohnt, das zu tun. Bis heute arbeite ich noch oft viel, aber das Gefühl, der Rhythmus hat sich geändert. Ich überwältige mich nicht mehr mit Aufgaben. Ich bin entspannt.

Wenn du also den Widerstand überwunden und einen langsameren Rhythmus erreicht hast, bist du fertig, richtig?

Falsch.

Denn an diesem Punkt sind die meisten auf einmal deprimiert. Alles ist so schön, so viel intensiver als zuvor … und du hast Raum im Leben. Raum, um nichts zu tun und dich auszuruhen, Raum für Self Care und deine Leidenschaften/Hobbies/Interessen. Es klingt wie reine Seligkeit, warum bist du dann deprimiert?

Tim Ferriss schreibt über dieses Phänomen in Die 4-Stunden-Woche. Einfach ausgedrückt: Raum schaffen bedeutet, dass tatsächlich Raum da ist und damit die Gelegenheit für alles Unerledigte in deinem Leben, das jetzt wieder hochkocht. Uns wurde nie beigebracht, wie man “langsam” lebt. Ferriss spricht von einer Leere, die gefüllt werden will.

Der Ausweg

An dieser Stelle ist es sehr verlockend, einfach neue Tätigkeiten zu finden, mit denen du diese Leere füllst. Die ander Option ist, noch mehr an dir zu arbeiten. Das ist einfach die nächste Schicht, die du abtragen musst, nachdem du den ersten Widerstand gegen das Entschleunigen überwunden hast.

Diese nächste Schicht besteht daraus, genau hinzusehen und die Spreu vom Weizen zu trennen. Manches muss geheilt werden, etwa Familiengeschichte, alte Traumata und Verletzungen. Anderes kann losgelassen werden, und das kann man lernen. Du kannst einen positiven Fokus haben ohne toxisches “Bypassing” (Verdrängung) von allem anderen. Dieses Gleichgewicht zu finden und immer und immer wieder neu herzustellen ist ein fortlaufender Prozess und sehr bereichernd.

Das ist es, was auf der andern Seite vom Stress liegt. Wenn du das meisterst, fühlst du das echte Glück eines bewussteren Lebens. Die Grübeleien verschwinden, und wenn sie wiederkommen, halten sie sich nicht lange. Die meiste Zeit verbringst du damit, das Leben zu genießen. Du fokussierst dich auf das, was dir wirklich wichtig ist und dich am glücklichsten macht.

Es mag nicht übermäßig glamourös sein, aber es ist den Weg wirklich wert!