Nie in Ruhestand treten? Das Leben geht weiter mit 65
Der Film “Man lernt nie aus” handelt von einem pensionierten Witwer, gespielt von Robert de Niro, der ein Praktikum bei einer Modefirma macht, weil er sich langweilt und sich nach mehr Bedeutung sehnt. Der Film ist sehr schön und stößt mir trotzdem sauer auf, denn er illustriert ein weitverbreitetes Phänomen in unserer Welt: Dass viele das Gefühl haben, ohne ihren Job nichts wert zu sein.
Im Artikel letzten Monat habe ich einen (englischen) TED Ideas-Artikel erwähnt, über den ich ein wenig die Augen verdrehte. Kurze Zusammenfassung: Es geht um eine Neurologin, die empfiehlt, dass man sich am besten nie pensionieren lassen sollte, um den üblichen Verfall der körperlichen und geistigen Fähigkeiten zu vermeiden, der oft darauf folgt. Statistiken zeigen einen bedenklichen Trend von Menschen, die bis zur Pensionierung vollkommen gesund waren, aber dann auf einmal stark nachlassen und bald darauf sterben.
Letzten Monat erklärte ich auch das kollektive Trauma, unter dem wir als Gesellschaft leiden und das auf die Industrielle Revolution zurückgeht, als Menschen mit brutaler Gewalt dazu gezwungen wurden, Arbeitszeiten und -lasten zu ertragen, die der menschlichen Natur eigentlich gar nicht entsprechen. Dieser Vorgang war so erfolgreich, dass unser kollektives Trauma, das wir aus diesen Zeiten geerbt haben, uns bis heute glauben macht, dass unsere Arbeit unseren Wert als Menschen bestimmt und nichts sonst im Leben so wichtig ist.
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Ist es unser Schicksal, dass es nach 65 bergab geht?
Natürlich steckt in all dem auch ein wirtschaftlicher Aspekt. Die meisten von uns sind nicht reich, also hängen wir von dem Einkommen ab, das unsere Arbeit erbringt. Jedoch geht die Hingabe vieler Menschen an ihren Job sowie die Art, wie sie ihn über alles andere stellen, weit über das bloße Bedürfnis hinaus, den Lebensunterhalt zu verdienen.
Letzten Monat erklärte ich die Zusammenhänge rund um unsere Vergötterung von “harter Arbeit”; diesen Monat gehe ich auf die Schritte ein, die wir setzen können, um die Traumareaktion zu überwinden und andere, gesündere Prioritäten zu etablieren. Wenn man bedenkt, dass dieses Trauma vielen nach der Pensionierung das Leben kostet, ist dies eines der wichtigsten Dinge, die du für dich tun könntest.
Am besten beginnt man mit dieser Arbeit, wenn man um die 20 ist. Man kann aber auch noch mit 40 oder 60 anfangen oder wann immer. Es ist nie zu spät.
Alt werden ist ein Privileg
Wahrscheinlich hast du schon mal jemanden sagen hören: “Wenn ich nicht zur Arbeit gehen würde, wäre mir langweilig.” Das ist ein Teil dessen, was den Verfall von Menschen nach der Pensionierung verursacht, aber es ist nicht alles. Ein weiterer, großer Teil ist, dass wir darauf gedrillt - und wie erwähnt, traumatisiert - worden sind, ständig aktiv zu sein. Das macht den bloßen Gedanken an Entschleunigung beängstigend, ganz zu schweigen davon, dass man ganz aufhören könnte zu arbeiten.
Hast du dich schon mal gefragt, warum das Alter in unserer Gesellschaft so verachtet wird? Warum der größte Traum ist, ewig jung zu bleiben, was so weit geht, dass teure Operationen in Kauf genommen werden und jeder Verjüngungstrend mitgemacht wird, um jugendlich zu bleiben? Warum daran ein milliardenschwerer Zweig der Wellnessindustrie hängt?
Sag jetzt nicht, dass die Menschen schon immer jung bleiben wollten. Das Alter war früher einmal ehrenwert. Alte Menschen waren Quellen der Weisheit und Führung und spielten eine wichtige Rolle in der Gesellschaft. Glaubst du nicht, dass die Ehrerbietung gegenüber den Alten vielleicht aus den gleichen Gründen verschwunden ist, aus denen wir unsere Liebe fürs Nichtstun und Auszeiten verloren haben?
In Wahrheit ist alt werden ein Privileg, und eines, für das so mancher alles geben würde - all diejenigen, die zu früh sterben müssen und denen im Sterben bewusst wird, was für ein Privileg das Leben ist und dass ein jugendliches Aussehen und eine erfolgreiche Karriere nicht so wichtig sind wie Liebe, Gelächter, Freude. Sieh dir an, was Menschen sagen und bedauern am Ende ihres Lebens. Nicht ein einziger davon findet, er oder sie hätte öfter ins Büro gehen sollen.
Schritte, die du setzen kannst
Trauma überwindet man nicht einfach, indem man es intellektuell versteht. Trauma steckt im Körper, der automatisch auf bestimmte Weise auf seine Trigger reagiert.
Was ich damit sagen will: Es wird schwierig und es wird lange dauern. Du wirst ständig aufgeben wollen.
Ich weiß das, weil es Teil dessen ist, woran ich mit meinen KlientInnen in meinem zentralen Programm arbeite. Auch ich arbeite seit Jahren daran. Aber da jede Reise mit dem ersten Schritt beginnt, sind hier ein paar Schritte, die du heute setzen kannst, um den Weg zur Heilung zu beginnen.
Entwöhne dich von Ablenkungen. Das ist wahrscheinlich der schwierigste Teil, aber er ist unersetzbar. Mach mindestens einen medienfreien Abend in der Woche. Lösch soziale Medien Apps von deinem Smartphone und nutze die sozialen Medien ausschließlich am Computer oder Laptop, ein- oder zweimal am Tag. Leg eine Uhrzeit fest, nach der du abends überhaupt keine Medien mehr nutzt, sei es Computer, Fernsehen, Radio etc.
Lerne, nichts zu tun. Stell einmal am Tag eine Eieruhr auf 10 Minuten und tu nichts. Beschäftige auch deine Hände nicht. Hör oder sieh dir nichts an. Du solltest nicht mal meditieren. Eine Warnung, das kann extremes Unwohlsein auslösen; sei dir darüber im Klaren, dass das vom Trauma herrührt. Atme und halt durch. Mit der Zeit wird es leichter.
Priorisiere deine Leidenschaft(en). Es gibt einen Grund, warum das meine wichtigste Message ist. Nichts wirkt gegen die Gewohnheit, dich über deine Arbeit zu definieren, wie die Wertschätzung von etwas, mit dem du niemals Geld verdienen wirst. Eine Leidenschaft, ein Hobby oder ein Interessensgebiet zu priorisieren, einfach um der Freude willen, lässt sich in seiner Bedeutung gar nicht überschätzen.
Eine Alternative dazu, niemals in Rente zu gehen
Ich möchte dir ein Bild zeichnen. Du bist entweder in Rente oder hast eine große Geldsumme erhalten und musst nie wieder arbeiten. Du bist abgesichert.
Jeden Morgen wachst du mit der prickelnden Vorfreude auf die Wunder auf, die vor dir liegen. Ich meine damit keine aufregenden Events oder glamourösen Parties und nicht einmal Reisen. Nein, ich spreche hier von deinem Alltagsleben.
Beim Aufstehen weißt du schon, dass du einen Großteil deines Tages im ‘Flow’ verbringen wirst, die Zeit fast vergessend und dich völlig in einer Tätigkeit verlierend, die du liebst. Du gehst einer Leidenschaft nach oder mehreren und das bereitet dir so viel Freude.
Du weißt auch, dass du viel Ruhe haben wirst. Du wirst Zeit haben, um am Fenster zu sitzen und eine Tasse Tee oder Kaffee zu trinken; um einen Spaziergang zu machen, wenn du willst; oder um einfach dazusitzen und deinen Gedanken freien Lauf zu lassen.
Die Menschen in deinem Leben sind Quellen ständiger Freude und Wertschätzung. Du weißt, dass du heute mit einem oder mehreren deiner Liebsten Zeit verbringen wirst. So ist es jeden Tag, und das erfüllt dich mit Wärme und Dankbarkeit.
Das Leben ist schön.
Ist das eine Vision, die du gern zur Realität machen würdest? Fang mit den obigen drei Schritten an. Durchhalten wird sich auszahlen. Wenn du dabei Hilfe brauchst, melde dich einfach bei mir.
Im Anbetracht der Statistik könnten diese Dinge dir ganz wörtlich das Leben retten, wenn du in Pension gehst.